Brücher, Thomas / 05.01.1904
„Er bringt Unruhe in die Öffentlichkeit“
Text von Ronja Weber

Thomas Brücher wurde am 19. Oktober 1944 von der Gestapo festgenommen und am 10. November in das KZ Dachau verschleppt. Der Schutzhaftbefehl nennt Grund und Folgen der Verhaftung:
„Indem er durch die Verbreitung religiös-sektiererischer Schriften Unruhe in die Öffentlichkeit bringt und aufgrund seiner Verbindung zu Kreisen der verbotenen IBV [Internationalen Bibelforschervereinigung] erwarten lässt, er werde seine Freiheit zur weiteren Verbreitung religiöser Irrlehren missbrauchen“, sei er „als Häftling der Stufe I in das Konzentrationslager Dachau zu überführen“.
Nur zwei Wochen später, am 24. November 1944, kam Brücher nach Auschwitz. Aus dem Lager Auschwitz-Monowitz erreichte den Vater das letzte Lebenszeichen seines Sohnes. Bei weiteren Nachforschungen erfuhr er von dessen Tod im KZ Buchenwald (7. Februar 1945). Wie die Dokumente belegen, war Thomas Brücher mit einem „Räumungstransport“ am 26. Januar 1945 in Buchenwald eingetroffen. Hier wurde er in das sog. Kleine Lager, einer Quarantänezone zur Aussonderung von alten, kranken und damit arbeitsunfähigen Menschen, gebracht. Die Überlebenschancen im Kleinen Lager waren äußerst gering – die Häftlinge wurden in den letzten Monaten des Krieges ohne jede Versorgung ihrem Schicksal überlassen.
Über seine religiösen Überzeugungen wissen wir wenig, so ist nicht bekannt, wie seine Partizipation bei den Bibelforschern aussah. In Buchenwald wird er als politischer Häftling namens „Thomas Prücker“ geführt. Auch ist er nach diesen Dokumenten verwitwet und von Beruf Kaufmann.1 Dies sind Angaben, die bis dahin in keiner der anderen Quellen auftauchen – weder im Schutzhaftbefehl der Gestapo, noch in den Dokumenten aus den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz.
Copy of 1.1.6.2 / 9997063
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, 29.11.2017, Archivnummer: 8310
BRÜCHER, Thomas II
Copy of 1.1.6.2 / 9997062
in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen, 29.11.2017, Archivnummer: 8310
BRÜCHER, Thomas II

Doch bevor Thomas Brücher dieses Schicksal erlitt, war er ein Mann, der in Arheilgen als intelligent, frech, aber auch verrückt galt. Georg Hensel widmet in seinem Buch Glück gehabt Thomas Brücher ein ganzes Kapitel – hier wird er allerdings „Jobber“ genannt. Eine auch in der mündlichen Überlieferung Arheilgens bestätigte Anekdote ist, dass Brücher einmal zwei Erstklässler mit dem Rucksack an einen Zaun gehängt haben soll, sodass diese sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnten. Brücher habe darüber nur gelacht.
Auch aufgrund solcher und anderer Geschichten galt Brücher in Arheilgen als etwas verrückt. In Hensels Buch wird darüber spekuliert, ob Brücher nach der Einschätzung eines Wehrmachtspsychologen als kriegsverwendungsfähig anerkannt wird. Der Psychologe erklärte ihn, laut Hensel, für verwendungsfähig, aber auch für „gefährdet“. Doch durch verschiedenste Weigerungen, wie zum Beispiel die Weigerung am Exerzieren teilzunehmen, wurde er wieder nach Hause geschickt. Diese Geschichten sind nicht belegt, passen jedoch zu dem Gebot der Zeugen Jehovas, sich dem Wehrdienst zu verweigern.
Auch berichtet Hensel vom Engagement Jobbers (Brüchers) am Theater: hier sei er ein „V-Mann“ (S.58) der Gestapo gewesen. Bald habe aber die Gestapo von seiner Unzurechnungsfähigkeit erfahren und ihn umgehend aus ihren Diensten entlassen. Auch dies ist nicht belegt. Jobbers Ende schildert Hensel als theatralisch inszenierten Suizid. Von einer Deportation erfahren wir von Hensel nichts, wodurch unklar ist, wie verfremdet die Biografie Brüchers dargestellt wurde. Auf jeden Fall sind in dem Kapitel zu „Jobber“ bestätigte biografische Elemente in eine fiktive Geschichte eingebettet worden, deshalb ist die Zuverlässigkeit als Quelle fraglich. Zu Thomas Brüchers Leben und seiner Verschleppung bleiben so noch viele Fragen offen.

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