Übersetzung: Ulrike / Überarbeitet: Bernhard/Ulrike 13.06.2020
[Doster, Gustav:] Kämpe mot fascismen, in: Syndikalisten nr 42 1973, S. 18-22.
[auf der Grundlage eines Interviews, das Mygg Hellbom 1973 mit Doster führte]
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KÄMPFER GEGEN DEN FASCHISMUS
Wir treffen Gustel Doster an einem schönen Sommertag draußen auf seinem Hof in Häverödal in Roslagen. Er erzählt von seinen Erfahrungen im syndikalistischen Kampf, beginnend in seiner Jugend in Deutschland bis hin zu der Zeit, als er hierher nach Schweden kam.
„SCHWARZE FAMILIE“
Mein Vater war Sozialdemokrat und aktiver Gewerkschafter. Wir waren sozusagen eine schwarze Familie. Wir waren Antimilitaristen und in meinem Elternhaus traf ich Leute aus dem Spartakusbund, die Gegner des Krieges waren. Wir wohnten in Hessen. Das war immer rot gewesen, sowohl in den Städten als auch auf dem Land.
FÖDERALISTISCHE ORGANISATION
Unsere Organisation entstand um 1886. Sie wurde Freie Vereinigung der Deutschen Gewerkschaften genannt. Sie war föderalistisch aufgebaut, nach demselben Prinzip wie französische Organisationen. Die Lokalgruppe (die unserer LS [lokal samorganisation = Lokalgruppe] entspricht) wurde Arbeitsbörse genannt. Sie hatte neben einer kulturellen Funktion die Aufgabe, sich in Zukunft um den lokalen Produktions- und Distributionsapparat zu kümmern. In der kapitalistischen Gesellschaft sollte sie Arbeitskraft vermitteln, Lohnfragen überwachen u.a.. In Darmstadt, woher ich komme, und in Mainz, Frankfurt und Offenbach gibt es eine alte syndikalistische Tradition.
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VERFOLGUNG
1916 wurde die Organisation illegal. 1918 beriefen die illegalen Organisationen eine Reichskonferenz ein, auf der man beschloss, die Organisation neu aufzubauen. Man benannte sie um in Freie Arbeiterunion Deutschlands (Anarchosyndikalisten).
Nach einer kurzen Zeit begann die Verfolgung von Seiten der regierenden Sozialdemokraten erneut. Die Organisation wurde nicht verboten, aber die Militanten wurden verhaftet. Die Zeitung wurde nicht verboten, aber beschlagnahmt.
ARBEITERRAT
1918 wurde der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat gebildet. Bauernräte waren nicht so verbreitet, aber in Hessen, wo Bauern in der Industrie arbeiteten, wurden Bauernräte gebildet.
DARMSTADT LS [lokal samorganisation = Lokalgruppe]
Wir gründeten 1921 in Darmstadt eine Lokalgruppe. Wir waren sieben Personen, die Mitglieder im Jugendverband der Sozialdemokraten waren. Dort hatten Diskussionen über unterschiedliche Auffassungen in der Arbeiterbewegung stattgefunden. Die Sozialdemokraten taten alles, um die Räte, die sich gebildet hatten, zu zerschlagen. Wir fanden allmählich heraus, dass wir dort nichts verloren hatten.
Die Räterepublik Bayern, die 1921 mit Erich Mühsam und Gustav Landauer als Hauptfiguren gebildet worden war, wurde dort von der Reichswehr und von Freikorps niedergeschlagen.
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ARBEITERMILIZ
Als Hitler 1923 seinen ersten Putsch1 unternahm, verteilte man Waffen an die Arbeiter, um diesen niederzuschlagen. Es gelang, teils durch Generalstreik und teils durch Bewaffnung. Danach verlangte man, dass die Arbeitermilizen ihre Waffen zurückgeben sollten, was die Arbeiter verweigerten. Da wurde die Reichswehr eingesetzt, um die Arbeiter zu entwaffnen. Viele Organisationen wurden aufgelöst und liquidiert, z.B. Spartakus.
Betriebsrätegesetz
Zwischen 1920 und 1923 legalisierte und entrevolutionierte man die Räte, indem man ein Betriebsrätegesetz erließ. Es beinhaltete, dass in jedem Unternehmen mit einer gewissen Anzahl von Angestellten ein Betriebsrat gewählt werden sollte.
[Foto: Demonstration gegen das Betriebsrätegesetz vor dem Reichstag in Berlin am 13. Januar 1920]
Unsere Organisation (FAUD) leistete sich einige Schnitzer hinsichtlich dieses Betriebsrätegesetzes. Man sagte, dass es nicht [Seite 19, rechte Spalte] mit unseren Ideen vereinbar sei, für den Betriebsrat zu kandidieren. Aber das war eine Dummheit. In einer Fabrik in Darmstadt hatten wir 600 Mitglieder. Die Reformisten hatten 25. Wir hatten Tarifvereinbarungen und anderes. Unsere Stellungnahme zum Betriebsrat bedeutete, dass wir freiwillig darauf verzichteten, für unsere Mitglieder zu verhandeln. Die Reformisten vertraten die Arbeiter gegenüber dem Unternehmen. Unsere Mitglieder waren gezwungen, bei den Reformisten um Unterstützung zu bitten. Das hatte zum Resultat, dass sie verschwanden2. Dasselbe geschah überall. Der Niedergang setzte sich bis 1928 fort. Da waren vielleicht noch 50 000 Mitglieder in der Organisation. (1923 hatten wir 240 000). Da kam es sozusagen innerhalb der Organisation zu einer Revolution.
ETWAS MUSS GESCHEHEN!
Die Jüngeren sagten: Etwas muss geschehen. Ich war zu dieser Zeit, 1928, Vorsitzender im Rhein-Main-Distrikt. Wir hatten dort eine Distriktkonferenz. Davor hatten wir Jüngeren Pläne gemacht, um die „Traditionalisten“ abzusetzen. Fritz Kader aus Berlin, eines der höchsten Hühner3 innerhalb der Organisation, kam zur Konferenz. Ich geriet mit ihm aneinander und fing mir Ohrfeigen. Aber das Resultat am Schluss war, dass wir die Alten loswurden.
NEUE LINIE
Wir konnten von vorne anfangen. Wo wir noch Einfluss hatten, standen wir für den Betriebsrat zur Verfügung. Im Distrikt gab es noch ungefähr 600 Mitglieder. Einige von uns arbeiteten im Opelwerk. Da waren 30 000 [Seite 20, linke Spalte] Arbeiter. Wir verteilten Flugblätter und diskutierten bei jedem Treffen. Es gelang uns, drei Personen in den Betriebsrat zu bekommen. Wir waren um die 20 Personen aus unserer Organisation, die dort arbeiteten. Zwei Jahre später waren wir 1500. Da hatten wir Repräsentanten für jede Abteilung im ganzen Unternehmen im Betriebsrat. Ich selbst wurde Wortführer4 im Betriebsrat der Maschinenarbeiter.
LANGSAMER AUFSCHWUNG
1933 waren wir von 600 auf über 4000 im Distrikt angewachsen. Die Tendenz war im ganzen Land dieselbe, ein langsamer Aufschwung. Bestimmte Berufsgruppen, z.B. Zimmermänner, Fliesenleger, Prahmschiffer und bestimmte Distrikte, z.B. Ruhrgebiet und Rheinland, gehörten in besonderem Maße zu unserer Organisation.
DIE ORGANISATION ZERBRICHT
1933, als Hitler an die Macht kam, wurde die Organisation illegal. Die meisten wurden verhaftet. Die Organisation wurde aufgelöst, die Kassen wurden beschlagnahmt, die Büros der Geschäftsstellen wurden von SA und SS zerschlagen.
NEUE ILLEGALE ORGANISATION
Ostern 1932 hatten wir unseren letzten legalen Kongress in Erfurt. Der wurde hinter verschlossenen Türen abgehalten. Über die gewöhnlichen Kongressverhandlungen hinaus wurde die Illegalität geplant. Fritz Lienhof und ich wechselten uns als Vorsitzende des Kongresses ab. Illegale AU [Arbetsutskott = Arbeitsausschüsse] und CK [Centralkommitté = Zentralkomitee] wurden gewählt. Alle, die gewählt wurden, wurden innerhalb der nächsten Wochen ausgeschlossen und es wurde in der Zeitung annonciert, dass sie aufgrund von feindlichem Verhalten gegenüber der Organisation ausgeschlossen wurden. Dasselbe geschah [Seite 20, rechte Spalte] innerhalb des Distrikts. Man durfte natürlich nicht diejenigen wählen, die der Polizei bekannt waren. Auf diese Weise wurde zum einen ein regulärer Organisationsapparat gewählt, zum anderen baute man eine gänzlich unbekannte illegale Organisation auf.
KONZENTRATIONSLAGER
Die meisten von uns, die bekannt waren, wurden verhaftet. Ich wurde am 7. März um 3 Uhr in der Nacht verhaftet. Wir wurden zuerst im Braunen Haus verhört, der privaten Kaserne der SA. Dann wurden wir in das Konzentrationslager Osthofen gebracht. Die meisten bekannten Personen kamen dorthin. Der erste Prozess für unseren Distrikt wurde am Pfingstsamstag [= 3. Juni 1933] abgehalten. Die Urteile lauteten auf 10-15 Jahre. Wir wurden verurteilt auf Grundlage von Gesetzen, die es nicht gegeben hatte, als die Organisation legal gewesen war. Danach wurden wir getrennt und kamen in unterschiedliche Lager. Es gab mehrere hundert Konzentrationslager.
[Karikatur: ??????????]
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FLUCHT
Ich floh mit Unterstützung unserer illegalen Organisation am 28. Oktober 1933 und verließ das Land. Ich kam in den letzten Novembertagen nach Holland. So lange dauerte es.
AUSLANDSORGANISATION
In Holland bauten wir eine Auslandsorganisation auf. Einige Kameraden kamen nach Schweden. In Holland gaben wir eine Zeitung und illegale Broschüren heraus. Wir hielten Kontakt mit der Organisation in Deutschland. Ich war mehrere Male mit falschem Pass dort. Wir sammelten Geld und führten Geld und illegales Material mit nach Deutschland. 1934 machte jemand in Dortmund einen Fehler, wurde gefoltert und redete. Eine neue Verhaftungswelle ging über Deutschland. Ein Prozess folgte dem anderen. Die Strafen lagen bei 10-15 Jahren. Erstaunlicherweise kamen alle zurück. Aber sie waren erledigt. Sie waren wie Skelette.
VERHAFTUNG IN HOLLAND
1935 wurde ich in Holland verhaftet. Man sagte mir, dass ich von Deutschland aus zur Fahndung ausgeschrieben sei für Mord und Falschmünzerei, und dass ich ausgeliefert werden solle. In der holländischen Organisation in Amsterdam gab es einen tüchtigen Anwalt. Er wurde von der Organisation beauftragt, meine Interessen zu vertreten. Ich ging für 22 Tage in den Hungerstreik. Im ganzen Land fanden Demonstrationen statt. Sneevlit, ein Trotzkist, der in der linken Opposition tätig war, [Seite 21, rechte Spalte] griff die Sache im Parlament auf. Da wurde der Beschluss der Polizei aufgehoben und die Angelegenheit dem Gericht übergeben, das beschloss, dass die Auslieferung nicht vollstreckt werden solle. Ich wurde zur Internierung verurteilt, bis ich selbst die Auslieferung an ein anderes Land als Deutschland beantragen würde.
SCHWEDISCHE AUFENTHATLTSERLAUBNIS
Über den Advokaten schrieb ich nach Schweden. Bekam eine Antwort von John Andersson und von der Sozialbehörde, dass ich mit einer Aufenthaltserlaubnis rechnen könne, wenn ich mich aus eigener Kraft dorthin begeben könne. Da beantragte ich eine Ausweisung nach Belgien.
In Göteborg wurde ich von der Polizei und Gustav Sjöström empfangen. Ich bekam eine Aufenthaltserlaubnis.
[Foto: Gustav Sjöström]5
Im Jahr darauf, 1937, fuhr ich nach Spanien. Wir hatten eine deutsche Organisation in Spanien. Wir gaben eine Zeitung und Propagandamaterial heraus. Wir stellten Dokumente über den Hitlerimperialismus zusammen, die auf Materialien beruhten, die wir mit Hilfe von Arbeiterpatrouillen in deutschen Gesandtschaften und Konsulaten beschlagnahmt hatten. Wir hatten eine Radiostation in Barcelona.
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[Foto: unter der schwarzroten Fahne von CNT und FAI]
IM KOMMUNISTENGEFÄNGNIS
Dann kam 1937 der Maiaufruhr in Spanien. Da wurden die meisten von uns von der Tscheka [= sowjetische Geheimpolizei] der Kommunisten verhaftet. Zuerst wurden wir in einem illegalen Gefängnis interniert, das die Kommunisten in Barcelona hatten.6 Durch eine Wache gelang es uns, eine Nachricht an FAI hinauszuschmuggeln.7 Sie sollten versuchen uns frei zu bekommen. Dann wurden wir in ein altes Kloster in Valencia transportiert. Sie versuchten uns zu befreien. Dann wurden wir in anderes Kloster in Segorbe in Levante transportiert.8 Emma Goldmann war in dieser Zeit zu Besuch in Spanien. Durch eine Wache bekamen wir Kontakt mit ihr und Augustin Souchy, denen es gemeinsam mit einigen Spaniern gelang uns herauszubekommen.
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FLUCHT IM LETZTEN MOMENT
Spanien war damals bereits geteilt. Es gab einen kleinen Streifen bei Cartagena und Taragona, der vom Eisenbahnarbeitersyndikat gehalten wurde. Dort wurden wir im letzten Moment zusammen mit dem Regionalkomitee und dem Eisenbahnarbeitersyndikat mit einer Lokomotive und zwei Waggons nach Barcelona evakuiert. In Barcelona gingen Francos Truppen auf der Vorderseite des Regionalkomitees hinein, während wir es auf der Rückseite verließen. Die Flucht ging nach Frankreich. Mit Hilfe eines schwedischen Beamten zogen wir weiter. Anderenfalls hätten die Nazis uns erwischt. So kamen wir wieder nach Schweden.
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