Nicht alle werden nach dem „Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“ als „Opfer nationalsozialistischer Verfolgung“ anerkannt. Menschen wie Katharina Serba wurden von Nationalsozialisten verfolgt. Ihnen wurde ihre Freiheit genommen, viele von ihnen wurden getötet. Doch ihren Angehörigen wird nach 1945 der Anspruch auf Wiedergutmachung verwehrt. Warum werden sie vergessen?
Katharina Mathilde Serba wird am 02.05.1925 als ältestes von vier Kindern in Darmstadt geboren. 1939 schließt sie die Volkshochschule ab und absolviert ihr Pflichtjahr. Nachdem sie einige kurzfristige Arbeitsstellen hatte, wird sie am 28.9.1942 fest bei Oberregierungsrat Bohn als „Haushaltsgehilfe“. Sie bleibt dort, bis er sie im April 1943 bei der Gestapo denunziert.
1955 stellt Katharinas Mutter, Marie Serba (>Foto), einen ersten Antrag auf Entschädigung. In diesem gibt sie an sie, dass ihre Tochter von dem Ehepaar Bohn nie gut behandelt worden sei. Sie habe sich stundenlange Vorträge über den „Führer“ anhören müssen und sei außerdem mehrfach aufgefordert worden, der „Pflicht-Hitler-Jugend“ beizutreten. Dies habe Katharina verweigert, da sie selbst über ihre Freizeit verfügen wollte. In der Entschädigungsakte liegt ein mit Schreibmaschine ausgefülltes Antragsblatt von 1955, in dem eine Mitgliedschaft Katharina Serbas bei der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und dem BDM (Bund Deutscher Mädel) eingetragen ist. Jedoch ist das Antragsformular nicht unterschrieben und diese Mitgliedschaften sind nicht nachweisbar: Die Dokumentenzentrale in Berlin gibt nach Kriegsende an, dass keinerlei Unterlagen über eine Mitgliedschaft Katharina Serbas bei der NSDAP oder einer ihrer Gliederung vorliegen.

Arolsen Archives – Korrespondenzakte Katharina Serba – Copy of 6.3.3.2/ 87035198
Katharina sollte nicht ganz, sondern nur für ein paar Tage wegkommen.
Frau Bohn 1945 – laut Erinnerungen von Maria Serba
April 1943 wird Marie Serba krank und Katharina bleibt als älteste Tochter zuhause, um sie zu pflegen. Bereits am zweiten Tag, den 18.04.1943, wird die 17jährige ohne Erklärung um fünf Uhr morgens von Gestapobeamten abgeholt. Von einer ihrer ehemaligen Mitschülerin erfährt die Mutter, dass Katharina in der Jugendarrestanstalt in Langen festgehalten wird. Angezeigt wurde sie von Frau und Herrn Bohn, die ihr Wegbleiben als Böswilligkeit interpretierten. Sie machten damit ihre – wie Marie Serba in ihrem Antrag berichtet – wiederholte Drohung, die Katharina bei der Gestapo zu melden, wahr. Gründe für die Drohungen nennt Marie Serba in ihrem Antrag nicht. Ob sie in Katharina Serbas Weigerung, einer NS-Gruppierung beizutreten lagen, kann nur vermutet werden.
Marie Serba weiß, dass Katharina in der Jugendarrestanstalt Langen geschlagen wurde. Dies habe sie ihr selbst weinend erzählt, als sie sie besuchen durfte. Doch warum wird Katharina in der Jugendarrestanstalt misshandelt und andere nicht? Warum kommen andere nach dem Jugendarrest frei – nicht aber Katharina Serba? Am 4. Juni 1943 erhält die Familie Serba den ersten Brief aus dem Frauen-KZ Ravensbrück. Bis Anfang Januar 1945 wird Katharina jeden Monat ihrer Familie schreiben. Danach bricht der Kontakt ab. Als Marie Serba Sommer 1945 Frau Bohn begegnet, habe diese ihr, auf ihre Äußerung, Katharina sei noch nicht zurückgekehrt, lediglich erwidert, „dass sie nicht gewollt habe, dass [Katharina] ganz, sondern nur für ein paar Tage wegkommen sollte.“
Nach dem Krieg bemühen sich Marie Serba und vor allem Katharinas jüngere Schwester Anni bei verschiedenen Behörden und Bekannten um Informationen über Katharina Verbleib. So erfahren sie über Bekannte, dass Katharina laut eines Radiosenders im KZ Buchenwald verstorben sei. Ansonsten bleibt ihre Suche erfolglos. Erst 1975 beantragt Olga Knüpfer (geborene Serba), ihre Schwester Katharina für tot zu erklären.
Menschen wie Katharina Serba werden vergessen
Marie Serba stellt am 10.06.1955 den Antrag auf Entschädigung. Zehn Jahre später, am 18.05.1965, wird er abgelehnt. Und dass obwohl Marie Serba angibt, auf das Einkommen ihrer Tochter angewiesen gewesen zu sein. Denn nach der Scheidung von ihrem Ehemann und dessen Tod im Jahre 1953 sind Marie Serbas finanzielle Mittel gering – ihre Rente allein ist nicht ausreichend. Sie schreibt, Katharina „würde sich, wenn sie am Leben geblieben wäre, auch heute noch meiner annehmen.“
Zudem leidet Marie Serba unter starken gesundheitlichen Beschwerden. In einem ärztlichen Gutachten vom 10.01.1965 ist von mehreren chronischen Erkrankungen mit starken physischen Auswirkungen die Rede. Unter anderem wird eine länger zurückliegende Lungentuberkulose genannt. Vielleicht ist diese der Grund, warum Katharina am 18. April 1943 nicht auf ihrer Arbeitsstelle erschien, sondern ihre Mutter unterstützte?
Marie Serba benötigt dieses ärztliches Zeugnis, um einen versäumten Termin im Rahmen des Entschädigungsantrags entschuldigen zu lassen. Doch der Hausarzt stellt ihr nicht nur ein Attest aus, er zitiert auch aus einem nervenfachärztlichen Gutachten von Herrn Dr. Schuchard aus dem Jahre 1959, welcher nicht nur Marie Serba, sondern die gesamte Familie als „geistesschwach“ bezeichnet. Abschließend ergänzt der Arzt zu den „chronischen Krankheiten“ noch „erheblich[e] Psycholabilität“ und „mangende Intelligenz“. Diese Diskreditierungen lassen sich jedoch mit keinem der von der Familie verfassten Dokumenten bestätigen. Anni Serba schreibt sogar Briefe auf Englisch, um die Suche nach ihrer Schwester zu unterstützen. Zudem hätte Marie Serbas körperlicher Gesundheitszustand als Entschuldigungsgrund ausgereicht, so dass die ausfallenden Bemerkungen als grundsätzlich unangebracht zu bewerten sind. Doch da das ärztliche Zeugnis denjenigen zugeht, die über den Entschädigungsantrag entscheiden, werden gerade diese abwertenden Formulierungen des Arztes nicht dazu beigetragen haben, Katharina Serbas Fall oder die Antragstellerin Marie Serba mit nötigem Respekt und Ernsthaftigkeit zu behandeln. Am 18. Mai 1965 wird der Antrag auf Entschädigung abgelehnt.
Katharina Serba – kein Opfer nationalsozialistischer Verfolgung?
Katharina Serba wird nach §1 BEG (Bundesentschädigungsgesetz für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung) nicht als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung erklärt, da sie weder wegen ihrer politischen Überzeugung, noch aus Gründen ihrer Weltanschauung verfolgt worden sei. Vielmehr sei die Anzeige wegen Arbeitsverweigerung erstattet worden, welche nicht Ausdruck einer gegnerischen Haltung gegen den Nationalsozialismus gewesen sei.
Doch was genau war der Grund für die Verhaftung von Katharina Serba? Die Mutter erfährt es, wie mehrfach im Entschädigungsantrag erwähnt, nie. Die Anzeige des Ehepaars Bohn war wohl Grund genug, die bei Verhaftung 17-jährige Katharina Serba zwei Jahre in ein KZ zu sperren und umzubringen, allerdings nicht Grund genug, die Familie zu entschädigen.

HStAD H3 Darmstadt Nr. 44210
Meldekarte aus dem Jahr 1946 von Marie Serba, der Mutter von Kathariana Serba